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Christian Awe - der Künstler im Interview

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Früher hat er illegal Häuserwände besprüht, jetzt ist er einer der erfolgreichsten Künstler Berlins. Ein Besuch im Atelier von Christian Awe (34) im Stadtteil Lichtenberg: ein lichtdurchfluteter Raum mit gemütlicher Sofa-Ecke und vollgestellt mit großformatigen und farbintensiven Leinwänden. Irgendwo dudelt Musik.

von Laura Hamdorf (Text) & Mirjana Goedicke (Bilder)

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Läuft hier immer Musik?

Immer. Musik ist mein Energielieferant, denn sie hilft mir, aktiv zu bleiben. Außerdem inspiriert sie mich. Stärkere Beats und Drums haben einen ganz anderen Effekt als ruhige Klänge.

Zum Beispiel stärkere Pinselstriche?

Zum Beispiel.

Du kreierst deine Bilder, indem du gesprayte Muster mit vielen Schichten aus Acrylfarbe überdeckst und am Ende wieder freilegst. Wie lange brauchst du für die Fertigstellung eines Bildes?

Das dauert schon einige Wochen. Für dieses Bild hier hinten habe ich drei Jahre gebraucht. Wenn du drüber streichst, merkst du, wie dick die Farbschichten sind.

Stimmt, die Farbe hat richtig Profil bekommen. Aber drei Jahre? Du bist wohl ein Perfektionist?

Ja, leider.

Wenn man über dich recherchiert, stößt man immer wieder auf den Ausdruck „Malperformance“. Was ist damit gemeint?

Ich male live in der Öffentlichkeit, gerne auch in Kooperation mit anderen Künstlern. So war ich kürzlich eingeladen zu einer Malperformance vor dem MuseumsQuartier in Wien. Oder auch im Emil Schumacher Museum, bei der ich mit drei Leuten zusammengearbeitet habe: Eine Klavierspielerin aus Hongkong spielte Bach und Chopin, dazu bewegte sich eine Tänzerin, das Zischen meiner Sprühdose gemischt mit der klassischen Musik. Aus diesen Soundpieces entstand House-Musik. Das war super. Ich habe immer wieder Lust auf Neues!

Viele Künstler brauchen Ruhe, Wieso ist das bei dir anders?

Vom Graffiti her bin ich es gewöhnt, mit vielen zu kooperieren. Ich mag mit Leuten etwas zusammen machen. Wenn man viele kreative Dinge zusammenbringt, entsteht etwas Neues. Dieses wochenlange Alleinsein im Atelier liegt mir einfach nicht.

Stichwort Graffiti – du kommst ursprünglich aus der Street-Art. Warst du richtig illegal unterwegs?

Ja, das sind meine Ursprünge. Und daher kommt sicherlich auch die Farbigkeit in meinen Bildern. Einige betiteln mich auch heute noch als „Street-Artist“, aber das ist falsch. Ich habe im Alter von 11 bis 20 Jahren gesprayt. Jetzt bin ich 34 und meine Kunst hat nur noch wenig mit Street-Art zu tun. Heute möchte ich als Künstler wahrgenommen werden.

Die Farbigkeit ist tatsächlich ein großes Charakteristikum deiner Bilder. Was bedeutet Farbe für dich?

Leben! Oder Synästhesie! Ich finde, Farbe löst Dramatik in einem Bild aus.

Du arbeitest gerne auf deiner Dachterrasse hier direkt neben deinem Atelier. Da hängt auch ein Basketballkorb. Du warst sogar mal Deutscher Meister im Streetball! Hat Malerei für dich einen sportlichen Aspekt?

Unbedingt. Für mich hat das Kompositorische und Rhythmische beim Malen viel mit Sport und Körperlichkeit zu tun. Ich habe sogar zeitweilig Kunst und Sport parallel studiert.

Eine ungewöhnliche Fächerkombination.

Aber sehr schlüssig! Die Sportfakultät der Berliner Humboldt-Universität ist sogar an der Philosophischen Fakultät angesiedelt, weil Sport eben auch viel mit Geist zu tun hat. Das wiederum ist der Kunst ja nun sehr ähnlich. Es gibt überraschend viele Schnittstellen.

 

Körperlichkeit war auch bei einem deiner spektakulärsten Projekte gefragt: Du hast eine ganze Hochhauswand bemalt.

Genau, an dieser 500 Quadratmeter großen Wand habe ich ungefähr zwölf Wochen gearbeitet. Das hieß: pro Tag 20 Mal das Gerüst rauf und wieder runter, also 6,5 Mal der Mount Everest!

Dein Wandbild befindet sich auch hier in Lichtenberg. Es hebt sich nun stark von den tristen Gebäuden der ehemaligen Stasi-Zentrale, die gleich nebenan steht, ab.

Genau das war auch meine Absicht. Der Stadtteil Lichtenberg hat viele graue Betonwände, die gut Farbe vertragen können. Ein anderer Punkt ist, dass Lichtenberg in der Vergangenheit einige harte Ecken hatte. Hier gab es viel rechte Gewalt. Ich versuche, künstlerisch dagegen zu steuern, zum Beispiel veranstalte ich regelmäßig Mal-Workshops für die Leute aus der Nachbarschaft. Wir planen weitere, große Wandarbeiten im Bezirk und wollen hier eine Art Open Air Museum kreiren.

Wie viel Zeit verbringst du am Tag mit der Malerei?

Soviel es geht.  Es gibt unglaublich viel zu tun.

Das klingt nach einem sehr erfolgreichen Jahr!

Das kommt darauf an, wie man Erfolg definiert. Da ich immer weniger Zeit habe zum Leben, weiß ich nicht, ob ich es erfolgreich nennen will. Für mich hat Erfolg auch etwas mit glücklich sein zu tun.

Und gerade macht dich deine Kunst nicht mehr so glücklich?

Doch schon, aber es ist auch gerade a little bit too much. Darüber will ich mich aber auch gar nicht beschweren. Ich muss eben auch lernen, auszuwählen und auch mal abzusagen. Vor einiger Zeit war ich ja noch froh über alles. 2 bis 5 % der Künstler leben von ihrer Kunst. Ich komme ja nicht aus dem künstlerischen Umfeld, hatte keine Künstlerfreunde und musste mir alles selbst erarbeiten und habe eben lange von ein paar hundert Euro im Monat gelebt.

About

Christian Awe steht für den Sprung der Urban Art in die Kunstgalerien. Seine regelmäßigen Reisen führen ihn oft in die USA, so kreierte er zum Beispiel in Miami das Kunst Restaurant "Wynwood Kitchen and Bar" und er lehrte an der Princeton University und in Yale. In der russischen Stadt Perm erhielt er den Kunstpreis des Bürgermeisters für seine zahlreichen Aktivitäten. Derzeit ist er beteiligt an dem Projekt „The young Mesopotamiens“, das sich den Wiederaufbau von Kunst und Kultur im Irak zum Ziel gemacht hat. Außerdem wird gerade eine Langzeitdokumentation über ihn gedreht.

 

Mehr Informationen zu Christian Awe erhalten Sie auf www.christianawe.com

15.01.2013