Kunst

Pictoplasma-Festival – Drei Tage, 8000 Augen

In Berlin fand zum neunten Mal das Pictoplasma-Festival statt, Treffpunkt für jene, die sich – grob gesagt – für alles mit Augen interessieren. Wir waren vor Ort, stellen die interessantesten Künstler vor und zeigen, was diese drei Tage mit einem anstellen können.

Von Sabrina Noll (Fotos) und Wiebke Anabess Kuhn (Text)

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Unsere Redakteurinnen: Sabrina Noll (links) & Wiebke Anabess Kuhn (rechts) im Bild

Ob Animation, Illustration, Installation, ob gestrickt, genäht, gezeichnet – dem Character-Design sind keine Grenzen gesetzt. Peter Thaler und Lars Denicke, die Erfinder von Pictoplasma, laden einmal jährlich nach Berlin, um Künstler und Interessierte zusammenzubringen. Auch ich interessiere mich für Dinge mit Augen und tauche drei Tage lang ein in eine Welt, in der ich permanent von (überwiegend niedlichen) Dingen angeblickt werde. Was das mit mir gemacht hat, und was Hasen und Tattoos damit zu tun haben, lesen Sie hier.

  • Das Herz der Pictoplasma-Konferenz ist das Babylon-Kino am Rosa-Luxemburg-Platz. Unsere tägliche Reise in die Welt der Figuren beginnt hier jeden Vormittag mit einem eineinhalbstündigen Screening ausgewählter Animationsfilme von Künstlern aus aller Welt.
  • Drei Vormittage, 68 Filme: Das Programmheft hilft, den Überblick zu behalten.
  • Draußen regnet es in Strömen, doch das amerikanische Künstlerduo FriendsWithYou versöhnt uns mit seinen lächelnden Wolken und fröhlich pfeifenden Regentropfen im Kurzfilm „Cloudy“ mit dem Wetter.
  • Wetter – auch ein Thema für den kleinen Piepmatz aus Conor Finnegans Film „Fear of Flying“: Seine Flugangst hindert ihn daran, im Winter in den Süden zu fliegen. Eine herzzerreißende Darstellung!
  • Im Anschluss der Screenings bittet Moderatorin Anna Hencke l- Donnersmarck (3. v. r.) die anwesenden Filmemacher auf die Bühne. Ebenfalls anwesend: der Sänger der Band The Beards (l.), deren Video zu „Got Me a Beard“ gezeigt wurde. Fun Fact: Drei Alben haben sie bereits veröffentlicht, allesamt mit Songs zum Thema Bart. Wir lernen: Es gibt nichts, was es nicht gibt. Und: Kritisiere niemals die Gesichtsbehaarung eines Mannes.
  • Und wir werden noch viel mehr lernen. Denn nach den Screenings beginnen die Lectures. Dachte ich im Vorfeld noch, dass dieser Teil des Festivals nur für Fachbesucher wirklich interessant sein könne, weiß ich nun, wie inspirierend, spannend und unterhaltsam es ist, Menschen zuzuhören, die vor Leidenschaft für ihren Beruf schier zu platzen scheinen.
  • Zum Beispiel: Geneviève Gauckler. Die Französin ist Ikone und alter Hase der Szene gleichermaßen, seit 25 Jahren macht sie Illustrationen. Sie behauptet von sich: „Ich kann nicht gut zeichnen.“ Gelernt: Darauf kommt es nicht an. Neugierde, Humor und Kreativität sowie ein gutes Computerprogramm sind wichtiger.
  • In der sogenannten „Doodle Lounge“ der Platoon Kunsthalle tut Geneviève Gauckler (l.) es nach ihrer Lecture dann doch: malen. Die Reaktion der Besucherin ist exemplarisch – ja, so schaute er aus, der typische Gesichtsausdruck des typischen Festivalbesuchers.
  • Die Platoon Kunsthalle diente als kreatives und Mitmach-Zentrum des Festivals. Zum Beispiel bat die Niederländerin Sue Doeksen dort zum „Paper Jam“. Mit buntem Papier, Schere und Klebstoff schafft die Illustratorin fröhliche Welten – hier taten es ihr die Besucher nach.
  • An 22 Ausstellungsorten zeigten teilnehmende Künstler ihre Arbeiten. Im FEED Soundspace in Neukölln fanden Sue Doeksens Characters ihr temporäres Zuhause.
  • Leider nicht zu sehen: Hier bewegt sich vieles. Ebenfalls nicht im Bild: erwachsene Menschen, die Begeisterungsschreie ausstoßen angesichts der Tatsache, dass das auf Knopfdruck geschieht. So konnte zum Beispiel mit der Fernbedienung auf dem linken Haus ein kleines Häuschen bewegt werden, welches man wahlweise in eins der Häuser einparken konnte. Einmal mehr wurden die Kinder in uns zu Marionetten der Kunst – herrlich!
  • Der Waliser Osian Efnisien, hier im Gespräch mit Moderatorin Anna Henckel-Donnersmarck, brachte viele, viele „Tinys“ mit nach Berlin: kleine Kritzeleien, gern in Hasenform. Erst eine Woche zuvor, als ich seine Bilder zum ersten Mal sah, hatten sie mein Herz im Sturm erobert ...
  • ... und als ich anschließend auf dem Weg zur Platoon Kunsthalle an diesem Tattoo-Laden vorbeikam, fasste ich superspontan einen Plan ...
  • Ich fragte Osian, ob er mir einen Hasen aufs Handgelenk malen würde, den ich mir anschließend tätowieren ließe. Schwer zu sagen, wer von uns beiden aufgeregter war!
  • Die Jungs von No Pain No Brain hatten kurz vor Ladenschluss noch Zeit für mich. Es sollte also sein. Ich frage den Tätowierer Pedro Alonso, ob es wehtun wird. Er sagt: „Ja.“ Dann starre ich auf den Fernseher, auf dem ein altes Video von Depeche Mode läuft. Dazu singen die White Stripes. Mein Puls ist auf 180. An viel mehr erinnere ich mich nicht. (Wehgetan hat es kaum.)
  • Da ist er: mein Tiny.
  • Als ich Osian am nächsten Tag treffe, fasst er sich zwar ungläubig an den Kopf, bedankt sich dennoch bei mir, woraufhin ich mich bei ihm bedanke, seine Freundin ein Foto meines Handgelenks macht – und wir alle immer noch nicht so recht fassen können, was dieses Festival mit uns macht.

Peter Thaler, Gründer, Erfinder, Vater von Pictoplasma, weiß das mit den Hasen natürlich schon längst. 2005 sagte er in einem Interview mit der Zeitschrift „De:Bug“ zum Thema Trends im Character-Design: „Der ewige Klassiker wird immer das Häschen sein. Egal in welchem Kulturkreis, der Hase ist ein immer wiederkehrendes Motiv, das die Leute einfach emotional umhaut.“ Und die Pressemitteilung zum diesjährigen Festival spricht von „der Fähigkeit der Characters, unmittelbare und maximale Empathie beim Betrachter hervorzurufen“. Recht haben sie und recht haben sie. Gezweifelt haben wir daran aber eh keine Sekunde. Das diesjährige Motto „White Noise“ haben wir bereits am ersten Tag in „High on Emotion“ umbenannt.

  • Weiter geht’s also mit ... einem Hasen! Auch der charmante mr clement ließ uns teilhaben an seiner Geschichte vomNobody zum Superstar der Szene. Seine Figur, Petit Lapin, hat er schon vor vielen Jahren entwickelt, als der gebürtige Hongkonger in Londoner U-Bahn-Stationen Kaffee verkaufte. Doch längst ist daraus ein Big Lapin geworden, der weltweit in Ausstellungen zu sehen ist und als Toy ein Zuhause bei Tausenden Fans gefunden hat.
  • Am Merchandising-Stand zeigt Petit Lapin uns und seinen kleinen Kollegen, was wirklich in ihm steckt.
  • Die Engländerin Louise Evans aka Felt Mistress hat viele Jahre lang Brautkleider geschneidert. Da sie aber weder Hochzeiten noch Bräute mag, näht sie heute lieber Stofftiere zusammen und kleidet diese ein. Gemeinsam mit ihrem Partner, dem Illustrator Jonathan Edwards, schafft sie wundersame Filzwesen – die die beiden netterweise mit Fragen bei ihrer Präsentation unterstützen.
  • In der Galerie Sur la Montagne in Berlin-Mitte warteten die schrägen Typen von Felt Mistress auf Besuch. Er hier heißt Groam, und er glaubt daran, dass das wahre Glück nur durch Unglück zu erlangen ist. Er verpasst gerne mal den letzten Bus und liebt verregnete Tage.
  • Kaum hatte Jon Burgerman (jonburgerman.com) erzählt, dass er immer ein Stück Kreide in der Hosentasche bei sich habe, schon malte er damit dem Rednerpult ein Gesicht. Seine Lecture, begleitet von Hunderten Schnappschüssen, gehörte zu den unterhaltsamsten des Festivals. Wie der Engländer seine Kunst beschreibt? „Wonky, wibbly, odd, angry, happy, dumb, wrong.“
  • Essen mag er auch. Burgermans Pizzaecken mit Augen und Beinen gab es in der Galerie Pflüger68 in Neukölln zu sehen. Neben mehr als 100 weiteren knallbunten Exponaten des Künstlers, die alle zum Verkauf standen. Drei davon sind mit uns zurück nach Hamburg gefahren.
  • Die am sogenannten „Character Walk“ teilnehmenden Galerien waren an der roten Pictoplasma-Flagge zu erkennen. Zum Glück hatte nicht jede was zu verkaufen ...
  • ...manch eine war nicht einmal zu betreten, wie die cube54: Im Fenster zwei Eumel der russischen Künstlerin Yeka Haski, die wir sonst entführt hätten.
  • Anderen Künstlern reichte eine Wand: Diese gestaltete Jeff Soto, der für alle Hörer seiner Lecture im Babylon amerikanische Süßigkeiten mitgebracht hatte, die er mittels gezielter Würfe ins Publikum verteilte. Minutenlang wurde sein Vortrag von Rascheln begleitet.
  • Und obwohl die englische Künstlerin Billy anlässlich des Festivals den Schuhladen HUBstore in Mitte in knallige Farben getaucht hatte, entdeckten wir ihre Kunst auch an einer Wand in Neukölln.
  • Immer dabei: umfangreiches Infomaterial, Zeitpläne, Straßenkarten, Notizbuch, Kreide.
  • Apropos Kreide: Die Containerwände der Platoon Kunsthalle wurden während des Festivals von den Besuchern bemalt. Praktisch: Wenn man sich (aus Versehen) dort anlehnte, konnte man anschließend (ungewollt) einen Abdruck zum Beispiel eines freundlichen Kraken auf seiner Jacke spazieren führen.
  • Vor dem Platoon wurde man dafür dann (absichtlich) von diesem Kerl hier ausgelacht.
  • Aber im Grunde kann man in Berlin kaum einen Schritt tun, ohne von Dingen mit Augen angeblickt zu werden. Pictoplasma hin oder her – sie sind unter uns.
  • Selbst Kühlschränke, die rücksichtslos auf Bürgersteigen entsorgt werden, mischen sich ein.
  • Die hier trauen sich nicht auf die Straße – besser so, denn sie sind aus Stoff und Wolle. Bei Archive Books in Neukölln zeigte Nina Braun diese kleinen Gesellen auf Wanderschaft durch ein Fantasiegebirge.
  • Beobachtet wurden sie dabei von diesem Kerlchen, geschaffen von der in Berlin lebenden Künstlerin Moki.
  • Gleich um die Ecke, im FUNCK[]RAUM, musste Tiny natürlich all seinen Kumpels von Osian Efnisien einen Besuch abstatten.
  • Anna Hrachovec aus New York ist die Erfinderin von Mochimochi Land, einer Welt, in der lauter kleine Strickwesen leben. In ihrem Webshop verkauft sie ihre Patterns, sodass sich jeder seine eigenen kleinen Freunde stricken kann.
  • In der Small Space Gallery in Mitte war richtig was los: Dort turnten Annas Kreaturen auf mit Garn umwickelten Ästen herum.
  • Ein von mir mit großer Vorfreude erwartetes Event, der Monster- Knitting-Workshop mit Anna in der Platoon Kunsthalle. Am Mikrofonständer: Pictoplasma-Veranstalter Lars Denicke.
  • Gleich würde ich eins von diesen entzückenden Geschöpfen in meinen Händen halten...
  • ... stolz und glücklich, also in etwa so ...
  • Doch das hier muss exakt der Moment gewesen sein, an dem mir klar wurde, dass die Geschichte so nicht ausgehen wird. Vier Stricknadeln sind schlicht und einfach zwei zu viel für mich.
  • Schnell gehe ich zum Merchandise-Stand und kaufe mir ein Pictoplasma-Buch. So kann ich zwar keinen gestrickten Freund, aber Tausende gezeichnete Characters mit nach Hause nehmen. Nächstes Jahr kommen wir wieder, keine Frage.

Weitere Informationen über das Pictoplasma Festival Berlin 2013 finden Sie hier.

17.04.2013