flair im Juni

Zu Hause ist, wo die Schönheit ist

# 06/19

Unsere Lieblingsdesigner und -künstler erzählen in der Juni-flair von ihrem Verhältnis zu ihrem Land

FB nobi talai winter2019 34

Nobi Talai
Designerin, Berlin

Nobieh Talaei(rechts) ist fu?r die reduzierten Entwu?rfe ihres Labels Nobi Talai bekannt / Foto: Nobi Talai
Nobieh Talaei(rechts) ist fu?r die reduzierten Entwu?rfe ihres Labels Nobi Talai bekannt / Foto: Nobi Talai

Nobieh Talaei wurde in Teheran geboren und kam mit elf nach Berlin. Die jahrtausendealte persische Kultur prägt ihre Designs genauso wie die europäische: Die Reduktion aufs Wesentliche, das Tragen von mehreren, manchmal variablen Schichten ist eine emotionale Referenz an die nomadischen Wurzeln ihrer Großmutter. Andererseits ist sie fasziniert vom Bauhaus oder der Neuen Sachlichkeit, die beide ja auf Reduktion und Funktionalität beruhen. Mit ihrem Stil hat die Designerin bereits nach vier Jahren den Durchbruch geschafft. Sie zeigt ihre Kollektion zweimal im Jahr in Paris


Was bedeutet Heimat für Sie?
Geboren im Iran und aufgewachsen in Deutschland, fühle ich mich in beiden Welten zu Hause. Heimat ist für mich da, wo ich mich wohlfühle, wo ich wohne, arbeite und somit verwurzelt bin.

Warum arbeiten Sie in Berlin?
Als Kind nach Berlin gekommen, bin ich mit der Stadt und ihrer für mich besonderen Dynamik gewachsen. Ich lebe und arbeite ausgesprochen gerne hier. Schon ganz am Anfang meines Labels erfuhr ich große Unterstützung und Zuspruch, zum Beispiel durch den Fashion Council Germany, wofür ich sehr dankbar bin.

Foto: Nobi Talai
Foto: Nobi Talai

Was lieben Sie an Deutschland – und was nervt Sie?
An Deutschland und besonders an Berlin liebe ich die kulturelle Vielfalt und die gelebte Toleranz. Zwar schätze ich das in Deutschland gewohnte Auf-Nummer-sicher- Gehen, wu?nsche mir in mancherlei Hinsicht aber etwas mehr Mut und Risikobereitschaft für Neues – nicht zuletzt in der Mode.

Beschreiben Sie den deutschen Stil – oder gibt es gar keinen?
Der deutsche Stil war lange von Funktionalität und Alltagstauglichkeit geprägt. Heute hat sich der pragmatische Aspekt etwas gelockert. Man nimmt vermehrt unterschiedliche kulturelle Einflüsse im deutschen Stil wahr.

Jeanne de Kroon
Designerin (Zazi), Berlin

Foto: Jonas Huckstorf
Foto: Jonas Huckstorf

Jeanne de Kroon will, dass Mode Frauen nicht schwächt, sondern verbindet. Deswegen ist Zazi nachhaltig und gibt Frauen in Indien, Nepal oder Tadschikistan Arbeit: Sie nähen aus Vintage-Stoffen Jeannes Entwürfe. Die Karriere als Designerin war nicht unbedingt abzusehen. Erst als die 25-Jährige nach einem Jura-Studium und einer kurzen, eher unglücklichen Zeit als Model zu reisen anfing, wurde ihr klar, dass sie es anders machen wollte als die Labels, für die sie als Model Werbung gemacht hatte.

Was bedeutet Heimat für Sie?
Seit meinem 17. Lebensjahr lebe ich eher als Nomadin aus dem Koffer. Deswegen fühle ich mich auf andere Art zu Hause: wenn ich meinen Körper während der Meditation spüre. Wenn ich an einem sonnigen Tag in Berlin mit meinem Freund Händchen halte. Oder wenn ich in einem Tuk-Tuk auf dem Weg zu den frauenfördernden Projekten bin, mit denen ich in Indien zusammenarbeite. Zusammengefasst: Heimat ist überall da, wo mein Herz sich geliebt fühlt – und eine Aufgabe hat.

Warum arbeiten Sie in Berlin?
Berlin war mein erstes Zuhause, nachdem ich nach der Schule herumgereist war. Die Stadt bedeutete für mich Freiheit und fließende Identität. Ich liebe es, dass Berlin zwei Gesichter hat: Chaos und Organisation gleichzeitig. Jeder Ort, den man sich aussucht, ist dazu da, einem eine Lektion zu erteilen. Deutschland hat meinem Leben Struktur und Freiheit zugleich gegeben. Dafür werde ich immer dankbar sein.

Was lieben Sie an Deutschland – und was nervt Sie?
Genau das: Ich liebe, dass Deutschland so organisiert ist, und ich hadere gleichzeitig damit. Deutschland war in Sachen Business ein Geschenk für mich: Ich fing mit 500 Euro in der Tasche in meinem Studentenzimmer an und glaube bis heute, dass es nirgendwo anders möglich gewesen wäre, eine Firma mit einer Mission aufzubauen.

Foto: Stefan Dotter
Foto: Stefan Dotter


Miriam Jonas
Bildhauerin, Berlin

Foto: Christoph Neumann
Foto: Christoph Neumann

Ihre Skulpturen und Installationen irritieren, bringen das Denken aus dem Tritt und lassen den Betrachter immer wieder lachen. Miriam Jonas hat pinke Käfige gebaut, weil diese Farbe amerikanischen Gefängnispsychologen zufolge Aggressionen mindert, sie hat eine Badewanne mit Styroporquadern gefüllt oder an eine Brücke über einem Wasserfall ein Schild geklebt, auf dem „Don’t fall“ steht: Kunst, die sich spielerisch auf die Wirklichkeit einlässt– und die Augen öffnet.

Wie kann Kunst zur Heimat werden?
Indem sie Raum zur Entfaltung hat. Der wird in Deutschlands Atelierlandschaft immer knapper. Ist mit Heimat das persönlich Wesentliche gemeint, das unter jeglichen Arbeitsbedingungen durchscheint, bin ich am unmittelbarsten auf Reisen und residencies mit dieser Suche konfrontiert. Mein Heimatempfinden ist geprägt durch viele Ortswechsel, und mein Selbst zeigt sich in den unterschiedlichen Erscheinungsformen meiner Kunst. Da fühle ich mich zu Hause.

Welche Bedeutung hat der Ort, an dem Sie arbeiten, für Ihre Kunst?
Die primäre. Ich erschaffe ortsspezifische Skulpturen und Installationen. Ich reagiere auf das, was ich vor Ort als Besonderheit empfinde, arbeite es heraus und mache es zu etwas Neuem. Spannend wird es, wenn die Situation eintritt, dass eine Arbeit an einen anderen Ort wechseln kann, um dort eine völlig unbekannte Seite zu zeigen – also einen Bogen spannt zwischen verschiedenen Locations und Kontexten. Manchmal ist diese Transformation möglich und bereichernd. Oft will ich aber etwas ganz Neues. Diese Freiheit ist mir wichtig.

Miriam Jonas verbindet verschiedene Techniken und Materialien – wie bei „Rapunzel“(Kunstverein Greven, 2017), wo sie ein geflochtenes Seil mit einer Abrissbirne aus Gips, Pigment und Metall kombinierte / Foto: Jean Rousseau
Miriam Jonas verbindet verschiedene Techniken und Materialien – wie bei „Rapunzel“(Kunstverein Greven, 2017), wo sie ein geflochtenes Seil mit einer Abrissbirne aus Gips, Pigment und Metall kombinierte / Foto: Jean Rousseau

Heimweh oder Fernweh?
Abreiseweh. Das vorausschauende Zurückblicken, in dem man schon ahnt, dass man den Ort vermissen wird. Sobald die Abreise vollzogen ist, freue ich mich auf das Heimkommen. Ich bin viel unterwegs, und solange ich oft genug einen Rückzugsort für mich allein habe, um Eindrücke zu sortieren, ist für mich genug Heim in der Ferne und umgekehrt. Ergreift mich doch mal das Fernweh, hat es meist ziemlich viel Gepäck und ruft nach Auswandern. Dann käme aber ganz sicher das Heimweh!

05.06.2019