Auch Dinge haben eine Heimat. Etwas über ihre Herkunft zu erfahren wird uns immer mehr zum Bedürfnis. flair fragt in seiner Juni-Ausgabe, warum, und stellt Konzepte aus Mode, Design und Kulinarik mit Ortsbekenntnis vor.
Text: Siems Luckwaldt
Auch Dinge haben eine Heimat. Etwas über ihre Herkunft zu erfahren wird uns immer mehr zum Bedürfnis. flair fragt in seiner Juni-Ausgabe, warum, und stellt Konzepte aus Mode, Design und Kulinarik mit Ortsbekenntnis vor.
Text: Siems Luckwaldt
Seidengasse 13 in Wiens 7. Bezirk. Ich stehe im Atelier der Designerin Susanne Bisovsky mit einer bunt gemischten Journalistenschar. Worauf wir unsere Kameras und Handys richten, ist jedoch keins dieser lichtdurchfluteten Studios voll weißer Hochglanztische mit iMacs und Energydrinks zum klackernden Sound von High Heels über Beton. Eher eine nostalgisch möblierte Zimmerflucht mit erstaunlich hohen Decken – und voller Magie.
Auf Kleiderstangen in Hüfthöhe und kurz unterm Stuck hängen traditionelle Gewänder aus allen Ecken der Welt. Und mittendrin Susanne Bisovsky, die gern als Trachten-Couturière bezeichnet wird und deren Kollektionen Namen wie „Mitgift“ oder „Everlasting“ tragen. Das ist jetzt schon ein paar Jahre her. Voller Verve sprach die Designerin damals über ihr Archiv mit regionaler Mode
aus zig Dekaden und Jahrhunderten, zog ein Fundstück nach dem anderen hervor und kannte zu jedem einzelnen mehr Anekdoten, als die Röcke Unterröcke hatten. Mit beringten Fingern fuhr sie über Stoffe, Blütenmuster und seltsame Quasten. Und wir reisten Satz für Satz mit ihr durch exotische Gefilde und geheimnisvolle Werkstätten. Dabei schwelgt diese außergewöhnliche Frau aus Oberösterreich keineswegs in einer „alpenländlichen Scheinidylle“, wie sie es nennt, oder setzt alte Handwerkstechniken als bloßen Showeffekt ein. Es geht ihr um eine „Rückbesinnung auf die Grundsubstanz“ der Mode. Denn: „Alle Retrobewegungen der 20er-, 30er- bis in die 90er-Jahre sind bereits mehrfach durchgekaut!“ Die Ironie ist, dass Bisovsky mit ihrer sympathischen Beharrlichkeit extrem im Trend liegt. Einer wachsenden Anzahl shoppender Menschen geht das Einheitsangebot der Einkaufsmeilen nämlich ziemlich auf die It-Bag. Stattdessen treibt sie die Sehnsucht nach Dingen mit Geografie, Geschichte, gutem Gewissen – und reichlich Gefühl. Regio erweist sich dabei mehr und mehr als das neue Bio.
Stimmt, sagt Wolfgang Adlwarth, Experte der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK): Vor allem der Heimatbegriff, dem noch immer der Geruch von Volkstümelei anhaftet, sorgt angesichts der Flüchtlingsproblematik für reichlich Diskussionsstoff. Belastet von der Historie und seiner rechtspopulistischen Vereinnahmung ist er auf Partys ein wirksamer Small-Talk-Abwürger. Wer jedoch verstehen will, warum etwa in meiner Hamburger Neighbourhood die T-Shirts vom Label „Hafendieb“ sein müssen, der Steuerberater seine Kanzlei „Steuerbord“ nennt und unser Hund bei den „Küstenschnuten“ trainiert, der kommt nicht drum herum.
Denn Lokalpatriotismus ist (wieder) cool, und ein neues Heimatbewusstsein wird laut Adlwarth „in breiteren Bevölkerungsschichten zum akzeptierten Wert“ – vom In-Begriff für alles Provinzielle zum Kaufargument.
Ist der Trip zum Bauernmarkt aber nun ein Akt gesunder Ernährung oder eine Mini-Rebellion gegen die Globalisierung? Wurzeln schlagen gegen verordnete Mobilität? Der handgestrickte Cardigan des Mode-Start-ups ein Appell zu mehr Individualität? Ein bisschen was von allem, wenn man Wissenschaft, Autoren und eigener Beobachtung glaubt. Der Philosoph Christian Schüle sieht die wesentlichen Gründe der neu erwachten Heimatliebe in einem „Verlust des Vertrauten“ und dem „Mangel an Vertrauen“. Ähnliches vollzog sich schon in den Trümmerjahren der Fifties und während der Ölkrise der Eighties. Doch was ist eigentlich Heimat, und wie können uns Mode, Design oder Kulinarik helfen, anzukommen, uns sicher und geborgen zu fühlen?
„Heimat“, schreibt Simone Egger in ihrem gleichnamigen Buch, „kann man riechen, schmecken, fühlen. Heimat ist da, wo das Herz wehtut.“ Etwas prosaischer definiert es die Psychologin Dr. Beate Mitzscherlich, eine der renommiertesten Wissenschaftlerinnen auf diesem Gebiet: „Heimat hat drei Dimensionen – sie basiert auf Zugehörigkeit und Anerkennung, Sicherheit und Gestaltungsmöglichkeit und einer Übereinstimmung des inneren Ichs mit der Außenwahrnehmung.“ Und Mode, so Mitzscherlich weiter, kann die soziale Zugehörigkeit durchaus unterstützen, als „Vehikel der Selbstpositionierung“ – egal ob Handtasche, Bomber- oder Lodenjacke. Gerade in einer (Berufs-)Welt, die uns Freiheit ermöglicht, dafür jedoch oft Nähe nimmt. Zur Familie, zu den Nachbarn, dem Freundeskreis, zu Kirchengemeinden, Vereinen und Gewerkschaften. Das jedenfalls betont Autorin Renate Zöller in ihrem Buch „Was ist eigentlich Heimat?“. Denn statt nach ständiger Neuorientierung, die uns als Flexibilität verkauft wird, sehnen wir uns eigentlich nach Wiederholung. Nach Gewohnheiten und Ritualen. Nach Kontext. Und Dingen, die zum „Anker in der Gegenwart“ taugen.
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