flair Magazin im September 2018

Lust auf Exzentrik? Ist das überhaupt noch möglich in einer Welt, die immer schriller und extrovertierter in sich selbst wirkt, obgleich ihr größter Kontrahent das Verschwinden in der Masse ist? Was früher als exzentrisch empfunden wurde, Gemüter erregte oder einfach nur die Aufmerksamkeit auf sich lenkte, zieht heute unbeachtet an der Gesellschaft vorbei. In einer digitalisierten Welt gibt es wenig, das wir noch nicht gesehen haben und noch weniger, das uns noch zum Staunen bringt.

Aus der Modeperspektive betrachtet tun oder taten dies Menschen wie Coco Chanel, die mit ihrer unkonventionellen Mode Aufsehen erregte, oder später Vivienne Westwood mit ihrer schrillen Selbstinszenierung und ihren exaltierten Revoluzzer-Kollektionen, Alexander McQueen, der Romantiker unter den „Spleenern“ oder Karl Lagerfeld, der besonders durch seine spitze Wortwahl auffällt und es damit zur Weltbekanntheit brachte, selbst bei den Anti-Modisten. Sie alle, und viele mehr, haben sich von den anderen abgesetzt, sind Identifikationsfiguren, moderne Narren, die spielerisch Grenzen u?berschreiten und für die Ausweitung unserer Freiräume sorgten und sorgen. Sie stehen für Fortschritt und Selbstverwirklichung. Aber woran erkennt man sie heute? Ganz bestimmt nicht am extravaganten bunten Äußeren, denn das ist längst im Mainstream angekommen. In welchem Kleid also offenbaren sich Post- Millennial-Exzentriker? Sechs der gefragtesten, quer durch die Kultur-Moderne, präsentiert ihnen flair-Featurechef Siems Luckwaldt im Leitartikel „Exzentriker gefragt“. Sie sind nicht nur Stars, sondern bemerkenswerte Individualisten mit eigenen Regeln, die mit Kreativität, Freimut und Humor eine Sehnsucht in uns wecken – die nach Exzentrik als innerer Haltung.

Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinkens beobachtet ein ganz anderes Phänomen: den „Verfall der öffentlichen Kultur“ der Mode. Vinkens richtet sich mit ihrem Essay an das äußere Erscheinungsbild unserer Gesellschaft, die sich am liebsten in der Masse verliert, bloß nicht aus der Reihe tanzt und schon gar nicht im Mittelpunkt stehen möchte.

Konformität ist angesagt. Anlass für Modechefin Anja Tranninger, Looks, mit denen Sie ganz bestimmt aus der Masse hervorstechen, zusammenzustellen. Auch die Mode-Editorials werden zum extrovertierten Happening und zeigen, wie Sports- und Casualwear dem Mainstream den Rücken kehren. Glanz und Glitzer hingegen verlassen die Showbu?hne und stehen für ein ganz neues, solidarisches Bewusstsein. Und auf Londons Straßen bricht der Wilde Westen aus. Wer den Humor dabei vergisst, ist raus aus dem Spiel mit der neuen Exzentrik.

Es gibt wohl keine perfektere Überleitung für einen ganz persönlichen Gruß an eine geschätzte Kollegin. Eine Persönlichkeit, die jedem Exzentriker die Hand, das Wasser oder ihr Herz reichen könnte, denn sie steht für den Mut,
über die Mitte hinauszudenken, über mehr als 30 Jahre im Dienste der Mode. Liebe Brigitte R. Winkler, wir gratulieren dir zu deinem Professorinnentitel, verliehen am 12. Juli 2018 vom Bundeskanzleramt für Kunst und Kultur der Stadt Wien. Wir sind stolz, dich von Stunde null an an unserer und flairs Seite zu wissen, als Modejournalistin, Beraterin und Freundin.

Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, wünschen wir nun außergewöhnliche Einblicke, normfrei, untypisch, kreativ und humorvoll. Viel Spaß beim Lesen unserer September-Ausgabe.

Ingrid Geringer, Chefredaktion